Übergabebescheinigung über 13 russische Kriegsgefangene, 1943
– das sind die Haupt-Schlagworte, unter denen sich das auf dieser CD-ROM vorgestellte Material zusammenfassen läßt. Nicht nur Soldaten, sondern in immer stärkerem Maß auch alle Zivilisten sind bei einem modernen Krieg von Not, Leid und Tod betroffen. Im ersten Weltkrieg betrug der Anteil der Ziviltoten an den Kriegstoten 15 %, im Zweiten Weltkrieg waren es 65 % (bei heutigen Kriegen sind es schon 90 %). Im Zweiten Weltkrieg wüteten die Deutschen mit Terror und Massenmord in den eroberten Gebieten besonders in Osteuropa. Für die Menschen in Deutschland kam der Krieg mit Tod und Zerstörung durch mit den Bomberflotten der Alliierten, dann auch durch die Vertreibung im Osten. Immer intensiver wurde während des Krieges die Reglementierung von ständig weiteren Lebensbereichen, immer mehr nahm die Durchhaltepropaganda zu.
Tod, Not, Versuche, den Mangel zu steuern, daraus erwachsene Reglementierung, Einsatz für den Krieg, moralische Aufrüstung durch Propaganda haben eine große Vielzahl an Geschriebenem und Gedrucktem, an Schriftstücken aller Art hervorgebracht. Alle waren sie nicht für einen langen Gebrauch, nicht für die Überlieferung und die Nachwelt bestimmt, sondern für die Zeitgenossen, für die unmittelbare Verwendung, Information und Beeinflussung. Gerade das macht dieses Material für die Heutigen um so interessanter, spricht damit doch die Vergangenheit unverfälscht zu uns, erlaubt uns einen direkten Blick in das Leben der damaligen Zeit.
Werkluftschutz-Ausweis, Hindenburg (Oberschlesien), 1942
Da finden wir: Musterungsausweise, Wehrpässe, Berechtigungsscheine zur Benutzung der Eisenbahn, Dienstreisescheine, Entlausungsscheine, Fahrbefehle, Geleitscheine, Marschbefehle, Urlaubsgesuche und –scheine, Entlassungsbescheinigungen, Musterungsbefehle, Sterbebilder, Todesanzeigen, Beileidsschreiben, einen Antrag auf Ehevermittlung für Verwundete, Bierzeitungen, Flugblätter, Transportpapiere für Kriegsgefangene, Abrechnungen für Kriegsgefangenenarbeit, Aufzeichnungen über Fliegeralarme und Luftangriffe, die Einberufung als Luftwaffenhelfer, eine Verwarnung wegen mangelhafter Verdunkelung, eine Gebrauchsanweisung für die Volksgasmaske, verschiedene Luftschutzmerkblätter, Bescheinigungen über Fliegerschäden, Fliegergeschädigten-Ausweise, -Einkaufsberechtigungen und Betreuungskarten, Lebenszeichenkarten, Reichsarbeitsdienstpapiere, Lebensmittel-, Kleider-, Kohlen- und Urlauberkarten, Haushaltspässe, Bezugsscheine aller Art, Anzeigen der „Kohlenklau“-Kampagne, Mahnungen des „Reichsnährstands“ an unwillige Bauern, Arbeits- und Meldekarte für „Fremdarbeiter“, Nachrichten der Reichsfrauenführung, Grenzausweise, Durchlaß- und Passierscheine, eine „Kraftfahrzeugeinberufung“, Anzeigen zur Warnung vor Tieffliegerangriffen auf Eisenbahnzüge, Unterhaltungsprogramme, Spendenaufrufe und –bescheinigungen, Geldscheine, KZ-Geld, Sparbücher, Postsendungen, Post- und Sonderstempel, Briefmarken, Marschausweis und Anweisungen für Evakuierte, die Beschlagnahme alter Kleidung aus dem Besitz einer nach Theresienstadt verschleppten alten jüdischen Frau; Sprachhelfer und Wörterbücher; Kleinanzeigen, Werbung aller Art, Postkarten, und und und...
Das
Material auf dieser CD kam alles aus verschiedenem Privatbesitz in Deutschland
und Österreich. Es hat, lange nicht mehr aktuell und seinem Besitzer nicht mehr
von irgendeinem Nutzen, als Erinnerungsstück oder auch nur völlig vergessen auf
dem Dachboden Jahrzehnte überdauert, um nun nach einem Todesfall, einem Umzug,
einer Hausrenovierung und dergleichen wieder hervorgeholt, wieder entdeckt zu
werden und dann auf dem Flohmarkt oder bei einer Internetversteigerung zu
landen.
Der Herausgeber hat den allergrößten Teil der hier vorgestellten Dinge in mehreren Jahren für sein Archiv aus diesen beiden Quellen erworben. Die umfangreiche Briefmarkensammlung war ein Erbe des Großvaters. Nur einige wenige Objekte wurden von anderen Eigentümern für die CD zur Verfügung gestellt. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt.
Der „Papierkrieg“ war auch im Krieg aus dem militärischen Leben nicht wegzudenken, dementsprechend wurden auch in der Etappe wie im Feld reichlich Ausweise und Bescheinigungen produziert. Im Vergleich zu Dokumenten aus dem zivilen Leben in Deutschland wird sich hiervon aber doch weniger erhalten haben. In seiner Wohnung legt man so etwas eher einmal in eine Schublade, heftet es in einen Ordner, wo es dann einige Jahre überdauern kann. Der Soldat im Feld hat nur seinen Rucksack. Für ihn wäre das Aufbewahren eines Papiers, das seinen praktischen Zweck erfüllt hat und nun nicht mehr gebraucht wird, ein viel bewußterer Akt. Er muß es immer mit sich herumtragen, muß einen Platz dafür finden, wo es nicht zerknüllt und naß wird. Es wird ihm, wenn er Sachen aus dem Rucksack herausnimmt, immer wieder in die Finger kommen und ihm im Wege sein. Kurzum: der Soldat wirft dergleichen Dinge nach Verwendung eher weg.
Dementsprechend häufiger sind in dieser Sammlung auch Dokumente des „zivilen“ Lebens in Deutschland zu finden. Aus der „Heimat“, von den Familien der Angehörigen, kommt die große Zahl von Dokumenten und Belegen, die mit dem Tod der Soldaten zu tun haben, von den Kondolenzschreiben der Einheit bis zu Todesanzeigen und Sterbebilder. Weitere der vielen Aspekte der bürokratischen Regelung des Kriegsalltags in der Heimat finden sich in der langen Dokumentenaufzählung.
Liste der abzuliefernden Gegenstände aus dem Besitz einer nach Theresienstadt verschleppten Jüdin, 1943
Dokumente zu den Themenbereichen Konzentrationslager und Judenverfolgung sind in unserer Sammlung unterrepräsentiert. Wer aus seiner Wohnung verjagt, nach dem Osten verschleppt und dort umgebracht wird, kann nun einmal keine Dokumente aufheben, hat keinen Dachboden, auf dem diese noch auf Entdeckung warten; auch keine Erben mehr, die diese Dinge später hätten finden könnten. Kinder kamen ja sofort in die Gaskammern. Ein interessanter Komplex hat sich in den Unterlagen eines Rechtsanwalts erhalten (auch diese Dinge landeten dann später auf dem Flohmarkt), der mit der betroffenen Familie befreundet war. 73 Jahre war die Frau alt, als sie ein knappes Jahr nach dem Tod ihres „arischen“ Mannes nach Theresienstadt verschleppt wurde (die älteste Leidensgenossin in ihrem Transport war 89 Jahre alt). Sie starb dort 1945.
Die ausgewählten Druckerzeugnisse – Auszüge aus Broschüren und Büchern, Zeitschriften; Karikaturen – sind Zeugnisse der „gleichgeschalteten“ öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Mit der Realität haben sie nichts zu tun, sie sind Zeugnisse einer von oben gelenkten Propaganda, die die Menschen im Sinn des Regimes und seiner Vorstellungen, Ziele und aktuellen Bedürfnisse beeinflussen soll. Hier einige Zitate aus den Tagebüchern von Propagandaminister Joseph Goebbels:
Karikatur auf Winston Churchill, 1940
9. Juli 1941: „Die Aufgaben der Propaganda liegen klar zutage. Es wird unser Ziel sein müssen, im Ostfeldzug den Bolschewismus zu diskreditieren, um uns im Augenblick, wenn sich die militärische Stoßkraft gegen England richtet, dann wieder grundsätzlich mit der englischen Plutokratie auseinanderzusetzen.“
10. Juli 1941: „Die Aufdeckung der
bolschewistischen Greuel wird von uns weiter
fortgesetzt. Sie hat allerdings den Nachteil, daß
sich allmählich doch weite Kreise der deutschen Bevölkerung wegen der
mutmaßlichen Behandlung deutscher Gefangener von Seiten der Bolschewisten
beunruhigen. Wir müssen diese Art der Propaganda deshalb etwas dosieren.“
12. Juli 1941: „Wie gut ist es, daß das deutsche Volk nicht alles erfährt! Es bekommt seine
Meinung fertig vorgesetzt. Im Kriege ist das überhaupt die einzige Form der
Nachrichten- und Propagandapolitik, die zum Erfolge führen kann.“
Und hier noch die Anweisung des
Propagandaministeriums an die „gleichgeschaltete“ Presse vom 1. September 1939,
dem Tag des Kriegsausbruchs: „Keine Überschriften, in denen das Wort Krieg
enthalten ist! Der Rede des Führers zufolge ‚schlagen wir nur zurück’. – DNB [Deutsches
Nachrichten Büro] gibt eine Materialzusammenstellung, aus der hervorgeht, daß Polen gestern fest entschlossen war, die ihm bekannten
Forderungen Deutschlands nicht zu erfüllen. Ernsthafte Polemik und
Kommentierungen dringend erwünscht. Kommentar zur Führerrede: der Führer hat
dem Volk aus dem Herzen gesprochen. Feststellen, daß
das deutsche Volk entschlossen ist, die Bedrohung gemeinsam abzuwehren, woher
sie auch immer kommen möge.“
Solche Anweisungen wurden täglich, auch zu
scheinbar ganz nebensächlichen Dingen, ausgegeben. Genauso straff wurden
Rundfunk, Film, das Buchwesen und die Kunst gesteuert. So müssen wir diese
Druckerzeugnisse als das sehen, was sie sind: Propaganda.